Harmonie, Bonn (DE), 25 April 2019

Alte Herren rocken wie junge Götter


Pünktlich um 20 Uhr betraten die fünf Mitglieder von Caravan die Bühne und legten sofort los.
Da immerhin drei von ihnen der 70-plus-Generation angehören und Geoffrey Richardson auch schon 68 Jahre alt ist, hätte der Verdacht aufkommen können, dass der frühe Beginn der Tatsache geschuldet war, dass die Herren nicht zu spät ins Bett und zu ihren Medikamenten kommen wollten.
Und in der Tat musste man sich in den ersten zehn Minuten um den Senior Jim Leverton Sorge machen, der mehr mit Hustenanfällen als mit seinem Bass kämpfte.
Freilich tat das dem schwungvollen Start in das Programm keinen Abbruch.
Vom ersten Riff an war Stimmung in der Bude, und das Publikum spornte die alten Haudegen durch Zurufe und Szenenapplaus beständig an.
Das wirkte erkennbar motivierend auf die Band, die sich in immer größere Spielfreude steigerte und sichtlich Spaß hatte.
Als Antreiber auf der Bühne hatte das Publikum von Beginn an den Schlagzeuger Mark Walker als Verbündeten.
Er ist mit 57 Jahren der Benjamin der Band und 2010 als letzter des jetzigen Line-up dazugestoßen.
Walker ist als Drummer einzigartig, nicht weil er besser als alle anderen, aber weil er mit einer Leidenschaft und einem Enthusiasmus spielt, für die ich keinen Vergleich wüsste.
Man hätte glauben können, sein Sitz verfüge über Sprungfedern, denn er schoss immer wieder wie ein Springteufel in die Höhe, stellte sich oft bei den Schlusswirbeln hinter sein Drumkit und strahlte vom ersten bis zum letzten Ton mit lachenden, leuchtenden Augen über das ganze Gesicht.
Dabei agiert er zugleich als kommunikatives Zentrum auf der Bühne und führt abwechselnd mit Orgel, Gitarre und Bass dynamische Dialoge. Walker ist nicht bloß der Drummer der Band, er ist ihre Energiequelle, ihr rhythmisch pulsierendes Herz.
Er vermittelt den Eindruck, dass es für ihn nichts Schöneres auf der Welt geben könne, als bei Caravan am Schlagzeug zu sitzen und in dieses Glück alle Lebens-Power zu investieren.
Walkers purer Begeisterung fügten die älteren Bandmitglieder eigene Akzente hinzu. Der Multi-Instrumentalist Richardson zeigte sich zu Scherzen aufgelegt und sorgte mit seinen perkussiven und Wort-Beiträgen für eine selbstironische, typisch britische Note.
Richardson spielte außerdem hervorragend Querflöte und Gitarre, fesselte die Zuhörer aber besonders durch sein exzellentes Geigenspiel, das das ganze Spektrum von klassischen Anklängen über elegante Jazzphrasen bis zu rockigen Höllenritten abdeckte, echt Canterbury eben.
Gegen Richardsons exaltiertes Spiel stach die very british wirkende Distinguiertheit von Pye Hastings, dem einzigen verbliebenen Gründungsmitglied von Caravan, ab, der den Leadgesang und meist auch die Leadgitarre übernahm.
Auch wenn die Stimme des 72-Jährigen nicht mehr das volle Volumen besitzt, ist sie doch angenehm und von großer menschlicher Wärme. Überhaupt strahlt die Band eine menschenfreundliche Humanität aus, die für diese Musikergeneration kennzeichnend ist.
Unauffällig, aber äußerst wirkungsvoll agierte der Keyboarder Jan Schelhaas, der die Songs in einen dichtgewobenen Klangteppich einbettete, aber nicht wenige brillante, wenn auch eher kurze Soli einfließen ließ.
Erst im abschließenden Prunkstück aus Caravans Repertoire, dem zwanzigminütigen Nine feet underground konnte er in vollem Umfang seine Kunstfertigkeit entfalten.
Zu dieser vorgerückten Stunde war auch Jim Leverton so munter geworden, dass er mit Hastings im Duett sang, einer der besonderen Gänsehautmomente des Abends.
Man gewann überhaupt den Eindruck, dass die älteren Bandmitglieder mit jedem Song jünger wurden, dass sie in ihren alten, ewig jungen Songs das eigene Alter vergaßen und rockten wie die jungen Götter.
Als sie um 22 Uhr nach einer knackigen Zugabe abtraten, hatten sie sich derart verausgabt, dass ihnen das Bedauern anzumerken war, auf weitere Bonus-Nummern verzichten zu müssen, weil die Unterbrechung ihnen die Erschöpfung plötzlich bewusst werden ließ.
Das Harmonie-Publikum bewies dafür ein feines Gespür und sah davon ab, den langen, dankbaren Applaus wieder ins Skandieren übergehen zu lassen.
Ein denkwürdiger Abend ließ alle begeistert, ja ergriffen zurück.

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