Harmonie, Bonn (DE), 25 April 2019

In the Rhineland of Grey and Pink


„Idole sehen, so lange sie lebendig sind.“ Dieser etwas pietätlose vorsatz steht immer noch auf meiner konzertbesuch-agenda.
Nachdem ich vor etwas mehr als vier monaten Soft Machine, die eine frühe Canterbury-Legende live erleben konnte, folgte nun mit Caravan die zweite formation, die aus der musikalischen keimzelle „The Wilde Flowers“ entstand. 51 jahre hat die band mittlerweile auf dem buckel.
Wie bei Soft Machine wechselte auch bei Caravan die besetzung im Laufe der jahrzehnte permanent. Immerhin, mit dem gitarristen und sänger Pye Hastings ist immer noch ein gründungsmitglied dabei.
Außerdem gehören der aktuellen formation das langjährige mitglied Geoffrey Richardson (Viola, Flöte, Gitarre, Gesang, Spoons), Jan Schelhaas (Keyboards), Jim Leverton (Bass, Gesang) und Mark Walker (Drums) an.
Es ist übrigens die dauerhafteste besetzung, mit der Caravan jemals existierte, seit nunmehr neun jahren spielt man miteinander.



Ich gebe zu, ich fuhr mit keinen großen Erwartungen auf das Konzert.
Das letzte Studioalbum „Paradise Filter“ (2013) war wirklich nicht mehr als ein lauwarmer aufguss des einstigen sounds und die zahllosen live-alben, die seit ende der 1990er den markt überschwemmten, vermittelten auf mich den eindruck einer band, die ihre besten jahre lange hinter sich hat.
Und natürlich: Historisch verwalten Caravan nur noch ihr erbe und greifen bei konzerten hauptsächlich auf den kanon der ersten fünf, sechs überragenden alben zurück.
Musikalisch jedoch sind sie alles andere als reine verwalter: Sie lieferten in Bonn eine show ab, die man sich druckvoller, energiegeladener, dynamischer und präziser selbst 1974 nicht besser hätte wünschen können.

Geradezu frenetisch geriet der Auftakt. Mit ‘Memory Lain, Hugh / Headloss_ packte die Band sofort einen Konzertklassiker aus. Die band strahlte vom ersten riff an eine große spielfreude aus, die man den hauptsächlich gesetzteren herren so auf der straße vielleicht nicht zutrauen würde.
Auf der Bühne verwandelten sich die alten recken in eine sichtlich fröhliche, quicklebendige bande. Dabei erwiesen sich vor allem Richardson und Walker als extrovertierte kommunikatoren der band.
Nach der ersten nummer wurden die musiker von der mit rund 400 Besuchern fast ausverkauften Harmonie vom gut gelaunten publikum lautstark umjubelt.
In Folge feuerten Hastings und Co. ein regelrechtes feuerwerk mit den „Hits“ der band ab: Mit ‘Golf Girl“, ‘If I Could do It All Over Again, I’d do It All Over You’ und einem gelungenen medley aus ‘The Love in Your Eye / For Richard’ erfüllten sie viele herzenswünsche des unterzeichnenden schon im ersten teil des konzerts.
Danach wurde es etwas ruhiger und man baute auch ein paar stücke des von mir so gescholtenen letzten albums ‘Paradise Filter’ ein, namentlich ‘Dead Man Walking’, ‘Farewell, My Old Friend’ und die rührselige Ballade ‘I’ll Be There for You’, die Hastings für seine ehefrau schrieb.
Selbst die neuen stücke gerieten in der elektrisierten atmosphäre der Harmonie ordentlich und störten nicht im fluss der setlist.
Mit dem klassiker ‘Nine Feet Underground’ vom Album “In the Land of Grey and Pink“ beschloss man das reguläre set, um dann noch einmal für das kurze, knackige ‘I’m On My Way’ (ebenfalls von „Paradise Filter“) einen denkwürdigen abend zu beschließen.



Caravan zeigten sich spielerisch präzise und der gute sound in der Harmonie trug dazu bei, dass man das können der musiker uneingeschränkt genießen konnte.
Hier ist in erster linie Geoffrey Richardson zu nennen, der brillant zwischen Viola, Flöte, Gitarre, Gesang und sogar Spoons (Löffel als Rhythmus-Instrument) wechselte.
Er ist das musikalische epizentrum der band. Mark Walker, der „neue“ drummer, der den schwierigen job von ur-mitglied Richard Coughlan erbte, spielte unfassbar gut und hatte unübersehbar riesenspaß, auf der bühne mit seinen idolen zu stehen.
Schelhaas und Hastings wirkten auf der bühne deutlich zurückhaltender und agierten als „elder statesmen“ oft eher band-dienlich denn extrovertiert.
Doch gerade Schelhaas konnte immer wieder, etwa bei bei ‘For Richard’ und ‘Nine Feet Underground’, sein können unter beweis stellen. Und wenn Schelhaas erst einmal loslegte, war magie im saal.
Last but not least spielte Leverton einen mehr als soliden Bass und ergänzte die eher dünnen Vocals Hastings oft durch eine ausdrucksstarke zweite stimme.



Alles in allem war das ein durchweg gelungener abend. Viele lächelnde gesichter (erstaunlich viele frauen! Oh mein Gott, so viele frauen auf einem prog-konzert!) strömten an den merchandising-tisch, wo die band bereitwillig autogramme gab und fröhlich mit den fans schwatzte.
Das anwesende betreuer-kleeblatt (Wolfram Ehrhardt, Klaus Reckert, Horst Riedel und yours truly) war schwer begeistert.
In dieser verfassung sind Caravan immer noch eine erstklassige, absolut sehenswerte live-combo.
Nostalgie? Ja, sicher, aber dank der lebendigen und druckvollen Performance wurden die alten nummern deutlich entstaubt und wirkten frisch und lebendig.

Text Sal Pichireddu, foto's by Klaus Reckert